„Gute Voraussetzungen für einen zügigen Hochlauf des Wasserstoffmarktes in Ostdeutschland“
Ein Interview mit Cornelia Müller-Pagel, die als Leiterin Grüne Gase bei der VNG AG die Geschäftsbereiche dabei unterstützt, Grüngasprojekte zu starten, umzusetzen und Forschungsfragen zu bearbeiten.
Wasserstoff ist eines der Buzzwords, die immer fallen, wenn es um die Dekarbonisierung energieintensiver Industrien geht. Wir wollten deshalb wissen, welche Bedeutung dem Gas für eine klimaneutrale Industrie zukommt, was die Herausforderungen für einen funktionierenden Wasserstoffmarkt in Ostdeutschland sind, warum die Region einen Vorteil im Wasserstoffhochlauf haben wird und wo die Politik unterstützen kann.
OWF-Team: Wenn von einer klimafreundlichen Industrie die Rede ist, fällt meist schnell das Wort Wasserstoff. Das scheint ein Zauberstoff zu sein, der viele Probleme lösen kann. Was genau soll die Rolle von Wasserstoff sein, welche Bedeutung könnte Wasserstoff bekommen, wo wird das Gas vor allem eingesetzt werden?
Wasserstoff ist ein molekülbasierter Energieträger, der mittels Elektrolyse auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt werden kann und bei dessen Einsatz keine Treibhausgasemissionen entstehen.
Deshalb ist er ein wichtiger Bestandteil des künftigen Energiesystems und wichtig für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045.
Grundsätzlich gilt dies auch für Strom, der auf Basis Erneuerbarer Energien hergestellt wird. Ein Großteil des heutigen Endenergiebedarfs wird in Zukunft durch Stromanwendungen klimaneutral gestaltet werden – allerdings lassen sich nicht alle Prozesse elektrifizieren. Insbesondere in der chemischen Industrie und für Hochtemperaturprozesse, aber auch im Schwerlast-, Flug- und Schiffsverkehr werden frühzeitig molekülbasierte klimaschonende Energieträger benötigt.
Zudem erwarten wir den Einsatz von Wasserstoff auch in Kraftwerken und zur Wärmebereitstellung, insbesondere in zentralen Wärmeerzeugungseinheiten.
Wann wird Wasserstoff wohl in der Breite und Menge verfügbar sein, die für eine klimaneutrale Industrie notwendig sind?
Die Industrie bereitet sich bereits heute auf den Einsatz von Wasserstoff vor, z.B. zeigen die Förderzusagen des Bundes für die Umrüstung von Hochöfen auf Direktreduktionsanlagen in der Stahlindustrie, dass hier die Transformation bereits begonnen hat. Somit besteht bereits Ende dieses Jahrzehnts eine substanzielle Wasserstoffnachfrage, die im Update der Nationalen Wasserstoffstrategie auf 95 bis 130 TWh eingegrenzt wird.
Nun gilt es, diese Mengen auch bereitzustellen und dafür braucht es zwei Dinge. Zum einen braucht es inländische Erzeugungsprojekte wie den Energiepark Bad Lauchstädt, die allerdings nur etwa ein Drittel der heimischen Mengen bereitstellen werden. Zum anderen braucht es den Aufbau einer Transport- und Verteilinfrastruktur, wie es im Wasserstoffkernnetz vorgesehen ist, um vor allem die notwendigen Importmengen von Wasserstoff in den Markt zu integrieren. Wir sehen, dass viele Elektrolyseprojekte in der Planung sind, die Investitionsentscheidungen aber noch nicht alle getroffen sind. Durch Maßnahmen wie Klimaschutzverträge aber auch Importbemühungen z.B. durch H2Global werden hier gerade wichtige Fördermechanismen etabliert, die auf die rechtzeitige Bereitstellung des Angebots abzielen.
Beim OWF23 wurde über die Frage diskutiert, wie man denn einen funktionierenden Wasserstoffmarkt in Ostdeutschland in Gang bekommen kann. Welche Herausforderungen gibt es denn noch, wo stockt es?
Wie eben beschrieben – die Projektideen sind formuliert, aber die Investitionsentscheidungen fehlen. Das liegt einerseits an den noch zu hohen Gestehungskosten für grünen Wasserstoff, denn die Produktionsbedingungen durch steigende Kosten der Herstellungskomponenten in den vergangenen Monaten wurden so von vielen anders prognostiziert. Andererseits fehlt es an einem klaren regulatorischen Rahmen für Anwender.
Worin könnte die Lösung bestehen, was wünschen Sie sich von der Politik?
Kurzfristig können hier zwei Maßnahmen helfen. Zum einen klare regulatorische Rahmenbedingungen für Anwender, z.B. für den Verkehrssektor in der 37. BImSchV oder durch die Umsetzung der Revision der RED II, die Quoten für den Einsatz von nachhaltig erzeugtem Wasserstoff in der Industrie ab 2030 vorschreibt. Zum anderen den Einbezug weiterer Wasserstoffherstellungsarten, z.B. auf der Basis von Erdgas mit gleichzeitiger Abspaltung und sicherem Transport des entstandenen CO2s. Der so entstandene dekarbonisierte Wasserstoff kann gerade in der Hochlaufphase große Mengen zu planbaren Preisen anbieten, was insbesondere die Infrastruktur ermöglicht, die im eingeschwungenen Markt dann bereitsteht, um heimisch erzeugten oder importierten grünen Wasserstoff zu transportieren.
Hat Ostdeutschland hier eigentlich besondere Stärken gegenüber anderen Standorten?
Ja, absolut. Bei der Projektentwicklung stellen wir bei VNG immer wieder fest, dass wir in Ostdeutschland sehr guten Voraussetzungen für einen zügigen Hochlauf des Wasserstoffmarktes haben. Das liegt zunächst an den bereits existierenden Bedarfen der chemischen Industrie in Mitteldeutschland, die ihre Prozesse weniger stark auf Wasserstoff umrüsten muss und so als Katalysator für die Entwicklung der Infrastruktur dient. Gleichzeitig haben wir mit dem Standort Bad Lauchstädt eine ideal gelegene Speicherlokation, die sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Flexibilität für die geplanten Netzverbindungen zu Importpunkten wie Rostock und Nachfragezentren an Stahl- und Chemiewerken bereitstellt. Wir erwarten daher, dass die Region Ostdeutschland deutlich früher den Wasserstoffhochlauf erleben wird als südliche Regionen in Deutschland.
Sehen Sie seit der Konferenz konkrete Fortschritte, hat sich die Situation verändert?
Der Wasserstoffhochlauf bleibt dynamisch und seit dem Sommer hat es weitere Konkretisierungen in vielen Projekten gegeben. Insbesondere die Diskussion um das Wasserstoffkernnetz nimmt weiter Gestalt an und wird perspektivisch mehr Klarheit in die initiale Infrastruktur bringen. Ich freue mich auch, dass die ostdeutschen Bundesländer in enger Kooperation mit dem Ostbeauftragten Carsten Schneider im Sommer beschlossen haben, eine Interessenvertretung Wasserstoff für Ostdeutschland zu gründen. Neben den bereits existierenden starken regionalen Initiativen soll diese ostdeutschland-übergreifende Plattform als starke Stimme die Zusammenarbeit zwischen den ostdeutschen Bundesländern sowie der Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung unterstützen und weiter vorantreiben. Das stärkt Ostdeutschlands Rolle im Wettbewerb beim Wasserstoffhochlauf zusätzlich.
Die Herausforderungen bei der Ausgestaltung des regulatorischen Rahmens bleiben hingegen erhalten. Die Revision der RED II (RED III) wurde vor Kurzem auch veröffentlicht. Aber leider warten wir noch immer auf die Umsetzung des DA RED II in der 37. BImSchV, die ein entscheidender Baustein für den Einsatz von Wasserstoff in Raffinerien ist. Hier braucht es nach wie vor Tempo bei der Umsetzung.
Würden Sie 2024 noch einmal die Frage stellen, wie die Akteure am Markt zueinander finden, oder gibt es aus heutiger Perspektive drängendere Fragen beim Thema Wasserstoff?
Grundsätzlich bleibt das Thema erhalten, denn viele künftige Anwender von Wasserstoff kennen noch nicht ihren optimalen Transformationsweg hin zur Klimaneutralität. Das gleiche gilt für Erzeugungsprojekte, die noch weiterentwickelt werden und deren Realisierung auch von der Zahlungsbereitschaft der Kunden abhängen wird.
Dennoch: die zentralen Industrien in Chemie und Stahl haben den Weg hin zu Wasserstoff bereits eingeschlagen. Mit Blick auf Kostensteigerungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette stellt sich in der Phase des Hochlaufs die Frage, wie die notwendige Wasserstoffversorgung auch kurzfristig wirtschaftlich wird, um wichtige Projekte auch zu realisieren.
Zur Person
Cornelia Müller-Pagel ist studierte Volljuristin und zugelassene Rechtsanwältin. Nach beruflichen Stationen in Erfurt, Jena und Neu Delhi arbeitet sie seit 12 Jahren in verschiedenen Funktionen bei der VNG AG. Seit 2019 verantwortet sie die Abteilung Grüne Gase bei VNG, die die Grüne-Gase-Projekte des VNG-Konzerns bündelt und ist verantwortlich für die Projektleitung des Reallabors Energiepark Bad Lauchstädt – einem der größten Grüne- Wasserstoff-Projekte Deutschlands. Seit 2020 ist Müller-Pagel Mitglied des Vorstandes des HYPOS Vereins und zuständig für das Finanzresort.